Wir nähern uns dem Fremden, indem wir seine Ferne grüßen

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 Ich bin sprachlos, verwirrt. Da sitzt diese kompetente, toughe Kollegin vor mir, wir arbeiten gut und  gerne zusammen, und die kulturellen Unterschiede schienen nach einiger Zeit doch nicht so groß. Jetzt das. Unvermittelt hebt sich ein Vorhang, gibt den Blick frei auf eine ganz andere, sehr fremde Gefühlswelt.

img_1772Eine Welt, in die ich mich nur schwer einfühlen kann, und doch berührt mich dieser Moment, bleibt mir im Gedächtnis. Durch die Tränen hindurch spüre ich einen Augenblick lang ein fremdes Erleben und erkenne, im selben Moment, mein eigenes Erleben als kulturell konstruiert: all die Emotionen, die mir so vertraut und selbstverständlich erscheinen, können, versetzt in eine andere kulturelle Umgebung, einen anderen Kontext, bedenklich ins Wanken geraten.

Topos des Fremden

Wir nähern uns dem Fremden, indem wir seine Ferne aushalten, schreibt Bernhard Waldenfels  in „Topos des Fremden“.  Ob wir nun in die Ferne reisen, oder ob wir in die Ferne fliehen, ob wir das Fremde in der Nähe suchen, oder ob das Fremde zu uns kommt – Wir nähern uns dem Fremden, indem wir seine Ferne aushalten. Alles andere ist Kitsch.

 Annäherung gelingt, wenn du es dem Fremden erlaubst, mit dir zu machen, was das Fremde eben mit dir macht: in dem einem Moment beflügelt es dich, in dem anderen läßt es dich wanken. Das Fremde zieht an und stößt ab, es  fasziniert und macht Angst, und manchmal graust es dich. Das Fremde ist gleichzeitig fern und ganz nah. Das Fremde bleibt mehrdeutig und unverfügbar. Das Fremde  kann dich tief hinab stürzen in deine eigenen Ängste, aber genau so gut kann es dich heraus katapultieren aus Stumpfsinn und Lethargie. In jedem Fall wirft das Fremde dich auf dich selbst zurück, auf das Fremde in dir. Angstlust. Die Fremdheit, das Fremdeln, ist eine Mischung aus Faszination und Angst.
 Du willst dich sicherer fühlen? Dann brich auf, zieh aus, steig über die Mauer, reiß die Wände ein, verlier das rettende Ufer aus den Augen, spring über die Schatten, die Feuer, verlier dich im Ungewissen. Geh durchs Chaos bis ans andere Ufer. Ohne Irritation kannst Du das Neue nicht entdecken. bleibst du ein  Gefangener deiner Ängste.

Mit etwas Glück kehrst du aus der Begegnung mit der Fremdheit als jemand zurück, der mit sich selbst ein wenig vertrauter ist.

Wir nähern uns dem Fremdem, indem wir seine Ferne grüßen.

Heimat ist ein Gefühl

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Heimat ist das Gefühl, das sich einstellt, wenn du dich in einer dir vertrauten Umgebung bewegst, selbstverständlich und ohne große Anstrengungen.

Umgebungen können sein: Eine vertraute Beziehung/ eine Gemeinschaft/ eine Sprache, in der du aufgewachsen bist, in und mit der sich deine Gefühle und Gedanken formten/ eine Tätigkeit, mit der du dich auskennst/ eine Weltanschauung, mit Hilfe derer du dich in der Welt orientieren kannst/ ein Ort, wo deine Wurzeln liegen/ ein bestimmter Lebensstil.

Heimat, sagt der Psychoanalytiker D.W. Winnicot, sei where we are coming from. Der  jüdisch-deutsche, aus Ungarn stammende Theatermacher  George Tabori antwortete auf die Frage, was denn seine Heimat sei, ein Bett und ein Buch, das genüge ihm.